ERP-Einführung: Klassisch oder agil?

ERP-Auswahl

ERP-Einführung: Klassisch oder agil?
Autor: Reiner Martin
Projekte zur Einführung von ERP-Systemen lassen sich mit
unterschiedlichen Methoden realisieren. Neben klassischen,
phasenorientierten Ansätzen bieten die ERPEinführungspartner
vermehrt auch agile Projektmethoden an.
Nicht immer passt die Methode zu dem jeweiligen
Projektauftrag. Dies kann zu einer Verschiebung des
Projektrisikos mit entsprechenden finanziellen
Mehrbelastungen führen. Der folgende Überblick dient zu einer
ersten Orientierung.
Kaum ein Projekt stellt ein gesamtes Unternehmen vor so große
Herausforderungen, wie die Einführung eines ERP-Systems. Nicht
nur Projektleitung und IT sondern fast alle Bereiche und
Abteilungen müssen sich intensiv engagieren. Es geht darum,
vorhandene Prozesse zu überprüfen, die Anforderungen an ein
neues ERP-System exakt zu ermitteln und durch die Erfüllung
ihrer Bedürfnisse an Effizienz zu gewinnen. Für diese Projekte
haben sich verschiedene Methoden herausgebildet, die im
Folgenden beschrieben werden.
Klassische Projektmethodik mit phasenorientiertem Vorgehen
Die klassische Projektmethodik definiert verschiedene Phasen,
die durch markante „Meilensteine“ abgegrenzt werden können.
Dies bietet den Vorteil, dass verbindliche Phasenergebnisse
festgelegt werden können, die für Anbieter wie Anwender
nachprüfbar sind. Damit geht die Überprüfung eines
Projektzeitplanes einher, der eine verbindlich festgelegte, auch
wirtschaftliche Kalkulationsgröße für das Projekt darstellt.
Aufgrund dessen startet ein derartiges Projekt genaugenommen
schon mit der Vertragsphase, da im phasenorientierten
Vorgehen auch hierfür bereits eine fundierte Planung
erforderlich ist. Zentrale Vertragsbestandteile sind daher die
Beschreibungen des Projektumfanges in Form eines
Pflichtenheftes, eines verbindlichen Projektzeitplans und eines
entsprechenden Budgets zeitlicher und finanzieller Ressourcen.
Diese bilden die Grundlage für alle weiteren Projektphasen. Nach
der Projektinitialisierung und der Erstellung von Fachkonzepten
auf Basis des Pflichtenheftes beginnt die wichtige
Implementierungsphase. Innerhalb dieser Phase erfolgt die
Hauptarbeit in Form der konkreten Umsetzung des in den
Fachkonzepten definierten Projektumfangs, also die Abbildung
der relevanten Geschäftsprozesse im neuen ERP-System durch
den ERP-Einführungspartner. Eine Vielzahl von Leistungen, wie
Konfiguration, Customizing, Datenmigration, die Realisierung von
Schnittstellen und Anpassungen, die Erstellung von Formularen,
Listen und Auswertungen werden durchgeführt und ergeben
schließlich ein funktionierendes Gesamtsystem. Nach erfolgreich
durchgeführten Integrationstests, einem Testbetrieb und
Schulungen für die Mitarbeiter führt dies zur Phase des
Echtbetriebs, die mit dem erfolgreichen Go-Live des neuen ERPSystems
abgeschlossen wird. Danach werden System und
Abläufe aufgrund der Erfahrungen im Echtbetrieb weiter
optimiert und das System wird, wenn vorhanden, in weitere
Unternehmenseinheiten ausgerollt.

Agile Projektmethodik mit zyklischem Vorgehen
Mit agilen Projektmethoden wie Scrum lassen sich Teilbereiche
und Teilaufgaben der ERP-Einführung stringent bearbeiten. In
Zyklen von je zwei bis vier Wochen Dauer wird ein Teilbereich
des Projekts vollständig realisiert. Ein festes Team stimmt sich
dazu täglich ab. So wird der Arbeitsfortschritt jeder Einzelaufgabe
(Task) des Zyklus exakt verfolgt. Durch das zyklische Vorgehen
bleibt der Projektumfang dynamisch: Rückschläge und
Mehraufwand in einzelnen Zyklen können, müssen jedoch nicht
durch schnelle Ergebnisse in anderen ausgeglichen werden.
Dieser Dynamik sind viele ERP-Projektverträge nicht gewachsen.
Dann führt die Anwendung dieser Methoden zu einer einseitigen
Verschiebung des Projektrisikos zum Auftraggeber, der dies unter
Umständen mit höheren Aufwänden bezahlen muss.
Hybride Projektmethodik: Stufendifferenzierter Methodenmix
Diese Nachteile der agilen Projektmethoden lassen sich durch
eine hybride ERP-Einführung ausgleichen. Dabei werden auf den
oberen Stufen und somit auch in den ersten Projektphasen
(meist Vorprojekt, Analyse und ERP-Auswahl,
Projektinitialisierung und Fachkonzept) die klassischen,
phasenorientierten Methoden angewandt. Dadurch kommt man
zu belastbaren Projektverträgen und kann das komplexe Projekt
in einem verbindlichen Zeit- und Leistungsrahmen abbilden. Im
Vordergrund steht zunächst die Erstellung dieser möglichst
vollständigen und konsistenten Leistungsbeschreibung. Denn
ERP-Systeme bieten nicht nur einen besonders hohen
Funktionsumfang, sondern diese Funktionen sind auch noch

besonders hoch integriert. Dies bedeutet eine hohe Abhängigkeit
der Funktionen untereinander.
Zum Abschluss der Fachkonzeptphase wird ein verbindlicher
Product Backlog beschrieben, der anschließend mit agilen
Methoden realisiert wird. Dabei werden zunächst in der Planung
der einzelnen Implementierungszyklen (Sprints) alle
Einzelaufgaben definiert und anschließend mit agilen Methoden
realisiert und auf Funktionsebene getestet. In den
abschließenden Stufen wie Integrations- und Systemtest sowie
Go-Live kommen dann wieder die phasenorientierten Methoden
des klassischen Projektmanagements zur Anwendung.
Checklisten zur Methodenauswahl
Eine Unterstützung bei der Auswahl der richtigen Methode für
ein EPR-Projekt geben die nachfolgenden Checklisten, die in
Anlehnung an Wolfram Müller (Projektmanagement aktuell,
Ausgabe 3, 2017) zusammengestellt wurden. Dabei werden
zunächst die Rahmenbedingungen, anschließend die Grenzen
und schließlich die Verbesserungspotenziale des Einsatzes agiler
Methoden betrachtet.

Kriterien für Rahmenbedingungen
Besteht das Projekt aus vielen kleinen relativ
unabhängigen Teilaufgaben?
Ja ( ) Nein ( )
Kann ein Projektteam gebildet werden das alle für das
Projektergebnis erforderlichen Fähigkeiten abdeckt?
Ja ( ) Nein ( )  
Kann in kurzen Zyklen von 2 bis 4 Wochen integriert
werden?
Ja ( ) Nein ( )  

Sofern eine der obigen Fragen in Ihrem ERP-Projekt mit „Nein“
beantwortet werden muss, ist ein überwiegend agiles Vorgehen
nicht möglich.

Kriterien für Grenzen
Ist die Termineinhaltung für das Projekt wichtig? Ja ( ) Nein ( )  
Übersteigt die Teamgröße zehn Personen und/oder
mehrere Standorte?
Ja ( ) Nein ( )  
Sind Teile des Projektes stark voneinander abhängig? Ja ( ) Nein ( )  

Wird eine dieser Grenzen in Ihrem ERP-Projekt überschritten,
mindestens eine Frage also mit „Ja“ beantwortet, müssen agile
Methoden zwingend durch weitere Mechanismen des
Projektmanagements ergänzt werden.

Kriterien für Verbesserungspotenziale
Ist negatives Multitasking (durch zu viele Projekte bei
knappen Ressourcen) deutlich ausgeprägt?
Ja ( ) Nein ( )  
Ist die Kommunikation unter den Projektbeteiligten
unzureichend?
Ja ( ) Nein ( )  
Sieht sich die unterste Führungsebene nicht als echte
Führungskraft?
Ja ( ) Nein ( )  
Ist der Arbeitsfluss kaum transparent? Ja ( ) Nein ( )  

Liegt negatives Multitasking oder andere der angeführten
Aspekte vor, so lässt sich der Projektablauf voraussichtlich durch
den Einsatz agiler Methoden verbessern.
Nachhaltige ERP-Verträge schließen
Wer agile Projektmethoden zur ERP-Einführung anwenden will,
sollte unbedingt die Auswirkungen auf die Projektverträge
untersuchen. Welche Risiken muss die Vertragsgestaltung
abfangen? Was ändert sich gegenüber „klassischen“
Einführungsverträgen? Die Herausforderungen bei der
Einführung eines neuen ERP-Systems sind immens. Wenn die
Anwenderunternehmen die Projektverträge richtig gestalten,
können sie Einführungsdienstleistungen, Softwarelizenzen und
Wartung trotz unterschiedlicher Projektmethoden belastbar
regeln.

Professor Dr. Reiner Martin wirkt neben seiner
Lehrtätigkeit an der HTWG Konstanz als
Aufsichtsratsvorsitzender der MQ result consulting AG. Das
Unternehmen berät seit 2002 mittelständische Unternehmen bei
der Auswahl, Einführung und Optimierung von Business Software
– unabhängig von den ERP-Anbietern.

Über die MQ result consulting AG
Die MQ result consulting AG berät seit 2002 mittelständische Unternehmen bei
der Auswahl, Einführung und Optimierung von Business Software – unabhängig
von den ERP-Anbietern. Eine professionell ausgereifte Methodik führt von der
Analyse über die Konzeption und Umsetzung zu positiven Ergebnissen für das
gesamte Unternehmen: Anwender berichten über effizientere Prozesse,
geringere Kosten und sicheres IT-Management. Mit Niederlassungen in
Konstanz, Tübingen, Karlsruhe, Dortmund, Hamburg, München, Darmstadt,
Berlin und Freiburg sorgen die unternehmerisch agierenden Experten für
Kundennähe. Weitere Informationen finden sich im Internet unter
www.mqresult.de.


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